Elektronisches Dokument: Zeit ist Geld


Interview mit dem Geschäftsführer der PROGMATE Sp. z o.o.


AHK: Die Verwaltungen in Polen arbeiten an Online-Behörden. Alles soll vernetzt werden, Informationen von jedem Mitarbeiter per Mausklick abrufbar sein, damit die interne Kommunikation besser läuft. Aber bringt das wirklich etwas, wenn man diese ganze Bürokratie elektronisiert?

Marcin Proñczuk, Geschäftsführer von PROGMATE: Es verschwinden ja nicht alle Papiere aus dem Büro. Es wäre ein Fehler, das Dokumenten-Management-System (DMS) für alle Bereiche zu nutzen und krampfhaft jede Quittung und jedes Anschreiben, was bei der Firma oder Behörde eingeht, erfassen zu wollen. Es muss nicht der ganze Workflow im System abgebildet werden, sondern wir brauchen nur die wichtigsten Prozesse wie. z. B. Rechnungen, Mahnungen, Eingangsschreiben, Ausgangsschreiben, Mitarbeiter-Informationen, die alle lesen müssen, oder Verträge (z. B. Kauf, Miete). Dann sind im System z. B. zehn Klassen und 20 Standardprozesse abgebildet. Unwichtige und außergewöhnliche Prozesse müssen nicht im System abgebildet werden. Dabei ist es wichtig, die Prozesse für den Workflow Schritt für Schritt und nicht alles auf einmal einzuführen, damit sich die Mitarbeiter daran gewöhnen können und man Zeit hat, Korrekturen und Verbesserungen vorzunehmen.

Solche Systeme sind nicht dazu da, Papierprozesse 1:1 in das System zu übertragen. Sie sind ein Werkzeug, mit dem der Kunde bestimmte Sachen modellieren und zugleich Geschäftsprozesse verbessern kann. Es geht nicht ums Abbilden. Firmen haben ganz andere Bedürfnisse als Behörden, die z. B. Register oder ein Posteingangsbuch führen müssen.

Die Kunden verstehen Dokumenten-Management-Systeme als einen Zusatz und nicht als einen internen Wechsel. Die denken "Ich habe schon ein Buchhaltungssystem. Dokumenten-Management - na das kann ich mir ja vielleicht irgendwann einmal zulegen." Die sehen noch nicht, dass es darum geht, ganz anders zu arbeiten. Man verdoppelt praktisch seine Geschwindigkeit im Agieren und in der Zusammenarbeit mit seinen Kunden.

Reichen für die Bedienung solcher Systeme einfache Computerkenntnisse aus?

Manchmal müssen wir bei Angestellten, die DMS nutzen, beim Urschleim anfangen und erklären, was eine PDF-Datei ist und was man damit tun kann. Für die Arbeit mit fortgeschrittenen Informationssystemen braucht man Grundkenntnisse. In Polen gibt es manchmal Ausschreibungen für Systeme zum elektronischen Dokumenten-Umlauf. Eine Firma gewinnt mit dem billigsten Angebot. Die Behörde kauft das System (meist mit EU-Fördergeldern), und am Ende steht es ungenutzt in der Ecke. Und die technische Spezifikation, die Anforderungen sind manchmal so hoch geschraubt und so fortgeschritten, dass die normalen Nutzer überfordert sind. Die nutzen dann 2 % der Kapazitäten des neuen Systems, oder lassen es ganz sein. Hier gibt es auch ein Generationenproblem. Da hat ein Büro ein Dokumenten-Management-System, aber der Laptop steht in der Ecke, und auf dem Tisch liegen wie früher stapelweise Papiere.

Was kann man dagegen tun?

Ich empfehle Berater in diesem Bereich, die erst einmal mit einfachen Sachen anfangen, also die Grundausbildung prüfen bzw. bei jenen Leuten durchführen, die mit dem System arbeiten sollen. Und erst wenn der Endnutzer diese Grundfunktionen im System begriffen hat, kann man ihm helfen, fortgeschrittene Funktionen zu nutzen. Es ist auch gut, in der Firma, für die man solche Systeme einführt, einen Kreis offener und lernfähiger Menschen zu finden, die man anstecken kann, denen man das System erklärt, damit sie später ihren Kollegen zeigen können, welche Vorteile es bringt, und ihr Wissen weitergeben können. So einige Technik-Freaks wirken bei der Einführung von DMS manchmal Wunder.

Woran erkenne ich einen seriösen DMS-Anbieter?

Ich kann nur vor Firmen warnen, die Fertiglösungen von der Stange anbieten und behaupten "Wir kommen zu euch für eine Woche, installieren Scanner und Software, und dann läuft das System wie am Schnürchen." Dann passiert es, dass das System nur herumsteht, und die Leute machen weiter ihren Zettelkram.

Welche Ratschläge könnten Sie Kunden geben, die ein Dokumenten-Management-System kaufen wollen?

Man darf nicht die Katze im Sack kaufen. Ein seriöser Anbieter analysiert die Bedürfnisse des Kunden und hilft ihm, das Produkt - das ja eigentlich ein Werkzeug ist - zu konfigurieren. Es geht dabei um die Anpassung an die Größe des Unternehmens, an die Menge der zu verarbeitenden Dokumente und die Prozesse, die mit dem System beschleunigt und vereinfacht werden sollen. Und natürlich müssen die Mitarbeiter für das DMS fit gemacht werden. Und wenn Sie eben eine Dokumentenklasse haben, die es in keinem anderen Unternehmen gibt, dann konfiguriert er sie für Sie und richtet sie so ein, dass sie optimal funktioniert. Der Kostenvoranschlag sollte die Kosten enthalten, die der Kunde spart, wenn das System dann wirklich funktioniert und von den Mitarbeitern des Kunden klug genutzt wird. Das setzt natürlich voraus, dass der Anbieter keine Haustürgeschäfte macht, sondern den Kunden bei Bedarf längere Zeit bei der Einführung und Optimierung des Systems begleitet. In einigen Jahren kann der Dokumentenumlauf erheblich steigen. Das System muss auf Wachstum vorbereitet sein, damit es nicht plötzlich wegen Überlastung langsam wird.

Bitte geben Sie mir ein Beispiel für so ein Programm?

Sie erstellen verschiedene Dokument-Typen, sagen wir, eine Rechnung (Faktura). Für diese Rechnung definieren wir Attribute: Brutto- und Nettowert, Zahlungsdatum, Priorität, Text kurz, Text lang, Datum, ja oder nein... Und diese Attribute kann man später füllen, oder man kann das Dokument basierend auf diesen Attributen im System suchen. Wir programmieren für diese Dokumentenklasse verschiedene Prozesse. Wie soll sich die Firma verhalten, wenn so eine Rechnung ins Sekretariat kommt? Wer kümmert sich darum, wer entscheidet? Die Rechnung wird eingescannt und läuft in der Firma weiter, aber nur noch elektronisch. Die Leute laufen nicht mehr mit Papieren durchs Büro, sondern die Dokumente laufen durchs Computersystem, und die Leute kriegen nacheinander Aufgaben, was sie damit machen müssen: akzeptieren, beschreiben, Zahlung genehmigen, Betrag überweisen etc.

Welche Trends gibt es bei der elektronischen Dokumentation in Polen und in der Welt?

In Polen orientieren besonders Behörden auf diese Systeme mit elektronischer Signatur, mit Electronic Registry Box (ERB), mit Ausschreibungsdatenbanken, mit Formularen im Internet, wo Behörden-Kunden Anträge stellen und Sachbearbeitung prüfen können. Außerdem baut man Schnittstellen, wo Behördendaten als XML-Datei ins Staatsarchiv exportiert werden. Privatfirmen fragen oft nach Integration, z. B. mit ERP, CRM und CMS.

In welchem Tempo entwickelt sich dieser Markt?

In Deutschland nutzten 13 bis 14 % der Firmen solche Systeme, in Polen 2 bis 3 %. Wenn man Ehebungen liest, hat man das Gefühl, dass den Leuten die Vorteile noch nicht bewusst sind.

Firmenchefs und Angestellte verlieren ewig viel Zeit für bürokratische Pflichten. Wie viel Zeit können sie mit modernen Systemen sparen?

Eine Unternehmensberatung hat einmal in den USA ermittelt: Wir brauchen in einem klassischen Papierbüro für die Bearbeitung eines Dokuments 12 Minuten. Davon gehen 9 Minuten mit Suchen, Herausnehmen und Ablegen verloren. Jedes 20. Dokument geht verloren. Die Suche eines verlorenen Dokuments kostet 120 Dollar, die Wiederbeschaffung 250 Dollar. Für das Füllen eines Regals mit vier Brettern mit Dokumenten wendet eine Firma 25.000 Dollar auf, für ihre Bearbeitung jährlich 2000 Dollar. Verwaltungsmitarbeiter verbringen 40 % ihrer Arbeitszeit mit unwesentlichen Dokumenten. Der Sachbearbeiter verbraucht 20 % seiner Zeit mit der Suche von Informationen in Papier-Dokumenten. Die Hälfte dieser Zeit sucht er umsonst. Dazu kommt noch der Verbrauch an Papier (Wäldern), denn für die Bearbeitung werden viele Dokumente ein paarmal kopiert. Man spart bei der elektronischen Bearbeitung ehemaliger Papier-Dokumente 1 bis 5 Dollar pro Dokument und verringert die Dokumenten-Management-Kosten um bis zu 40 %.

Sie haben acht Jahre in Deutschland als Software-Entwickler, Software-Architekt, Freelancer und Berater im Bereich Dokumenten-Management und Production Management gearbeitet. Was waren die wesentlichen Unterschiede zu Polen?

In deutschen Firmen hatte ich Vorgesetzte, die auch nicht immer in allen Bereichen talentiert waren. Die Hauptunterschiede liegen vor allem in der Kundenorientierung, also wie man gegenüber Kunden auftritt, sowie Qualität und Ordnung im Management: Besser einmal genau machen als zweimal fehlerhaft. Auch das Branding, professionelles Design und Briefing sind anders - also wie man die Firma nach außen darstellt. In Deutschland gibt es in jedem Bereich dermaßen viele Konkurrenten, dass man ein gutes Branding, ein gutes Auftreten in allen Details haben muss: von der Visitenkarte, über den Firmenbrief und Prospekt bis hin zur Website. Ohne das ist man verloren.

Ich glaube, wenn man die deutschen und polnischen Vorteile mischt, also auf einer Seite Management, Professionalität und Ordnung und dazu das Know-how polnischer Ingenieure, Informatik usw., dann kommt etwas Gutes raus.

Vielen Dank für das Gespräch.



Das Interview führte für die AHK Polen Achim Baatzsch